telling a work of art /
Arbeiten die man sich erzählen kann
an e-mail project by Karin Sander
Betreff: telling a work of art
Datum: Sun, 28 Apr 2019 10:10:00
Von:
Regine Keller
An:
Karin Sander
Das Eisenwalzwerk
Bilder, Töne, Assoziationen
von Regine Keller
In der Volksschule gab es in meinem Schulbuch zur Kunsterziehung ein für mich tief beeindruckendes Gemälde des Malers Adolph von Menzel: „Das Eisenwalzwerk“. Das in dunklen, düsteren Brauntönen gehaltene Bild, das nur in der Mitte durch glühend rote Farben, die bis in gleißendes Gelb-Weiss übergehen, erhellt war, übte eine ungeheure Faszination aus. Es stellt eine Arbeiterszene in einem Eisenwalzwerk dar. Die Gesichter der schwitzenden Männer werden von einer leuchtend, glühenden Masse in der Bildmitte angestrahlt. Die Arbeiter sind gerade dabei eine aus dem Ofen geholte Luppe (das glühende Eisenstück) in eine riesige Walze zu befördern. Glut sprüht rund umher. Die großen, fast archaisch anmutenden Werkzeuge werden von den Männern mit offenbar übermenschlicher Kraft bewegt. Adolph Menzel malt das Bild 1875. Es gilt als die erste künstlerische Industriedarstellung in der europäischen Bildkunst. Die Faszination, die für mich von diesem Bild ausging war nicht das eigentliche Sujet, sondern die Dynamik und die offensichtliche Kraft die auf mich wirkten und mich in ihren Bann zogen. Was musste das für eine glühende Hölle sein! Meine Lehrerin, ambitionierte Vertreterin der 68er Generation, wollte uns mit der Bildbesprechung natürlich ein Bewusstsein für das Geschundensein der Arbeiterschaft im beginnenden Industriezeitalter wecken. In meiner Heimatregion gab es keine Stahlindustrie. Meine Vorstellungskraft für diese Seite der Industriegeschichte musste sich also von Bildern nähren.
Im Jahr 1964 komponierte Luigi Nono das Stück ‚La Fabbrica illuminata’, Werk für Sopran und Tonband. Er machte dafür Ton-Aufnahmen in dem Stahl- Walzwerk von Italsider, dem größten italienischen Stahlproduzenten in Genua (heute Rivagroup). Die Aufnahmen unterlegte er mit Texten und Gesang. Nono widmet sein Werk den Arbeitern des Stahlwerkes. Als er es den Abeitern vorspielte bemängelten diese zuerst, dass die Geräusche seines Werkes nicht annähernd so laut seien, wie die des tatsächlichen Walzwerkes. Sie fragten, wie das, was sie hörten komponiert sei und wie aus Lärm und Text Musik werden könne. Sie bezogen das Gehörte direkt auf sich und Nono behauptete, dass sie sich plötzlich bewusst wurden welchen Bedingungen sie ausgesetzt seien.
Als ich 1976 meine englische Brieffreundin Ann in Manchester besuchte, nahm uns ihr Vater, der in einem Stahlwerk arbeitete, eines Abends mit, dem Abstich einer Thomasbirne beizuwohnen. In gebührender Entfernung betrachteten wir den rot glühenden Fluss des Stahls, der sich in eine große Sandform ergoss. Augenblicklich fürchtete ich, dass alles rundherum, auf Grund der großen Hitze wohl schmelzen müsse und war erstaunt, dass die Welt um mich herum doch kein Feuer fing. Das Gemälde Adolph Menzels, mit seiner glühenden Mitte, kam mir plötzlich wieder in den Sinn. Ich sah Anns Vater, stolz, in seinem dicken Asbestanzug und bekam eine Ahnung davon, welch harter Arbeit sich dieser Mann tagtäglich wohl unterziehen musste, um seine beiden Kinder, die in dem winzigen, armseligen Reihenhaus wohnten, satt zu bekommen.
Mitte der 90er Jahre besuche ich zum ersten Mal ein stillgelegtes Stahlwerk. Die letzte Glut war in Duisburg Nord längst erloschen. Kalt und rostig ragten die riesigen Kolosse der Stahlindustrie in den nun wieder klaren Himmel. Riesige rostige Schrauben lagen am Boden, die wie die Wirbelstücke großer Dinosaurier auf einer paläontologischen Fundstätte aussahen. Hier war das Bild Adolph Menzels endgültig Historie. Neue Bilder hatten sich eingestellt und machten es möglich postindustrielle Landschaften als Teil unserer heutigen Kultur zu verstehen und zu schätzen. Heute, wo deren Funktion als Ort industrieller Produktion obsolet ist, wurde, mit der Gestaltung des Areals als Park, eine neue Wahrnehmbarkeit produziert. Künftig wird es hier nicht mehr der rot glühende Stahl sein mit dem man diesen Ort im Sinne Adolph Menzels assoziiert, sondern das Pittoreske der Stahlruinen trägt nun zu einer neuen Idee urbaner Industrie-Landschaft bei. Neben der kulturellen Bedeutung haben postindustriellen Landschaften wie Duisburg Nord mittlerweile Freizeit- und Erholungsqualitäten, interessante ökologisch Wertigkeiten und neue wirtschaftliche Bedeutung erlangt.
Nun besteht die Herausforderung all unsere technischen Infrastrukturen in ihrer landschaftlichen Bedeutung zu erkennen und sie neu zu lesen. Seien dies Wasserstrassen, oder Autobahnen, Mülldeponien, oder Kläranlagen. Alle diese Orte haben einen großen Einfluss auf die Qualität unserer Lebensumwelt. Sie sollten deshalb nicht nur aus ingenieurtechnischen Gesichtspunkten funktionieren, sondern auch unseren ökologischen und ästhetischen Belangen genügen. Für die Landschaftsarchitektur fängt die Arbeit hier erst an.
Prof. Regine Keller ist Professorin an der TU München und leitet seit 2005 den Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und öffentlichen Raum.
In der Akademie ist sie Mitglied der Sektion Baukunst.