telling a work of art /
Arbeiten die man sich erzählen kann
an e-mail project by Karin Sander
Betreff: Beitrag telling a work of art
Datum: Wed, 27 Mar 2019 18:50:00
Von:
Guenter Kunert
An:
Karin Sander
HEIMKEHR VON DER JAGD
heißt das Gemälde von Pieter Bruegel, eines aus der Reihe seiner Jahreszeitenbilder.
Es berührt mich in besonderem Maße, vielleicht weil es, ein Widerspruch in sich, Stille sichtbar macht. Es zeigt auch eine Weltabgeschiedenheit, wie wir sie heute nirgends mehr vorfinden. Die sichtliche Einsamkeit des Ortes liegt in der Ferne der Vergangenheit, die keineswegs so idyllisch gewesen ist, wie sie uns der Maler präsentiert.
Es ist ja das 16. Jahrhundert, eine Epoche voller Kriege, Seuchen, Aberglauben und Nöten, wie wir uns heute nicht mehr vorstellen können. Das Bild täuscht über die Zeit seines Entstehens hinweg und ist voller Anziehungskraft und Zauber. Es vermittelt die Fiktion einer Friedlichkeit, wie sie nicht mal mehr in der Imagination vorstellbar ist. Es sind aber auch Hinweise auf verstecktes Elend zu finden. Die Jäger haben offensichtlich nur einen einzigen Hasen erbeutet, zu wenig für die Gemeinschaft, um satt zu werden. Und die kleine Gruppe auf der linken Seite vor einem Laden, vielleicht einer Bäckerei, zusammengeballt, wie eine Forderung zu demonstrieren, widerspricht der vorgeblichen Geruhsamkeit des Dorfes. Am lebendigsten sind die Kinder auf dem Eis, die sich selbst überlassen, fröhlich schlittschuhlaufen und sich amüsieren und den Ernst der Lage, falls die Spekulation des Betrachters stimmen sollte, ignorieren. Lautlosigkeit grundiert die Szenerie, über der ein Schweigen liegt, anziehend und bedrohlich zugleich. Die übergroße Krähe scheint schon das Unheil anzukündigen, das Ende jener Beschaulichkeit, die doch über die einstige Realität hinwegtäuscht.
Und doch mag man der Illusion verfallen, weil unsere eigene Unrast, unsere von Horrormeldungen über Kriminalität und militärischer Gewalt beanspruchte seelische Verfassung nach Ruhe verlangt, nach innerer wie äußerer. Insofern verzaubert das Bild und versetzt uns in eine fiktive Realität, wie sie wünschenswert erscheint. Aber es ist eben nur der Schein, der mittels der Kunst unser Empfinden beeinflusst. Sind wir nicht selber ständig auf der Jagd in unserem Leben, ohne das uns eine Heimkehr bevor stünde?
Alle Kunst ist nur das Hilfsmittel, unser Dasein zu bewältigen, Krücken auf unserem Weg ins Nichts.
Günter Kunert