telling a work of art /
Arbeiten die man sich erzählen kann
an e-mail project by Karin Sander
Betreff: Re: telling a work of art
Datum: Sun, 21 Apr 2019 15:20:00
Von:
Carola Bauckholt
An:
Karin Sander
Als ich 17 Jahre alt war, erlebte ich im kleinen Theater am Marienplatz in Krefeld eine Aufführung, die mich tief beeindruckt hat. Es war „Repertoire“ aus „Staatstheater“ von Mauricio Kagel.
Ahnungslos saß ich wie gebannt da, völlig fasziniert über eine knappe Stunde. Danach saß man noch zusammen und ich sagte zu dem Leiter, Pit Therre: „Es war toll, aber ich habe nichts verstanden.“ -„Ja, was hast Du nicht verstanden?“, fragte er.
Ich versuchte mich zu erinnern, was ich überhaupt gesehen und gehört hatte - es war wirklich schwierig, denn mein Verstand konnte die Eindrücke nicht sinnvoll abspeichern.
Ich stammelte: “…da war eine Frau, die hatte ganz viele Handtrommeln am Körper angeschnallt und drei andere haben auf ihr rumgetrommelt…“ -„Ja“, lachte Pit laut, „Du hast das ja verstanden!“ Erst in dem Moment wurde mir klar, was ich gesagt hatte. „Was hast du noch nicht verstanden?“ „… ehm … da war so eine flauschige Maler-Rolle, die kroch ganz langsam und lautlos einen Paravent runter, ohne dass man die Menschen dahinter sah und ich hörte eine leise Melodie auf einer Mundharmonika…und es war ganz still.“ -„… - …“ -„Und dann krochen mehrere Menschen aus den Paravents mit einer großen Konservendose am Po oder am Bauch mit einer Metallspirale dran. Die rieb durch die Bewegung auf dem Boden und es entstand ein Klang - Lärm, aber auch wie Glocken und sie bewegten sich so komisch, weil sie ja darauf achten mussten, dass das Ende der Spirale gute Reibetöne erzeugt. Und dann kam jemand nach vorne, der hielt sich ein riesiges Becken vor den Kopf und dann schlug er das Becken mit Kraft auf den Boden - aber es kam nur ein dumpfes ‚umpf‘ - es war gedämpft und alles war still. Und dann hörte man eine laute Tröte und alle liefen weg.“ Was noch? Warum war es so schwer, sich an etwas zu erinnern, obwohl ich es doch gerade gesehen hatte? „Da war ein langer Arm, der hielt eine Klingel und eine Hand kroch ganz vorsichtig an die Klingel wie eine Maus und dann plötzlich ist sie auf die Klingel gesprungen - pling - und dann kamen dicke aufgeschlagene Bücher aus verschiedenen Wänden und klappten laut wieder zu.“ Es passierten ganz viele Details und ich habe das Ganze überhaupt nicht verstanden. Ich war so verblüfft, dass ich eine Stunde lang völlig fasziniert zugeschaut und zugehört hatte, aber eigentlich nichts verstand - wie war das möglich?
Carola Bauckholt, 21.4.2019