telling a work of art /
Arbeiten die man sich erzählen kann
an e-mail project by Karin Sander
Betreff: telling a work of art
Datum: Tue, 23 Apr 2019 16:25:00
Von:
Guenter Nagel
An:
Karin Sander
Wir betreten unser Kunstwerk, von Süden kommend, durch ein schönes Portal. Es öffnet sich der Blick entlang der von Süden nach Norden führenden Hauptachse, deren Steigung differenzierte Blickfolgen ermöglicht. Wir betreten einen weit ausgreifenden Raum für die Lebenden – aber auch für die Toten. Auf der rechten Seite erscheint eine Pyramide, es ist das Grab Heinrichs, des langjährigen Besitzers und Bewohners unseres Kunstwerkes. Der Querweg führt weiter ins Heckentheater, einer beliebten Freilichtbühne für Kammeropern.
Zurück auf der Hauptallee geht der Blick nach Norden und trifft auf die Stirnseite des Schlosses. Nachdem wir eine von zwei Sphinxen bewachte Treppe herunterstiegen, erreichen wir ein Orangerieparterre, von Feldsteinmauern gefasst. Der Weg führt weiter über eine Brücke, die den Abflussgraben des Rhin vom Grienericksee überquert. Hier wird der Schlossbezirk erreicht.
Wir biegen vorher in die Querallee nach Westen ab. Beide Alleen bilden das barocke Grundmuster, ohne auf die Schlossgeometrie bezogen zu sein. Mit der umgebenden landschaftlichen Situation: dem Seeufer im Norden, den Boberow-Wäldern im Westen verbinden sich barocke und landschaftliche Gestaltungselemente in einzigartiger Form. Entlang eines Heckenquartiers erreichen wir über einen ehemaligen Graben das Orangerierondell. Auf einem elliptischen Platz steht der Pavillon, der als Orangerie gedient haben soll. Das erscheint im Hinblick auf die Gesamtsituation wenig plausibel, vielmehr kann hier eher ein Casino gewesen sein.
Wir verlassen die Querallee in Richtung See und kommen zum Sternrondell, gebildet von sechs einmündenden Wegen – mit weitem Blick über den See. Wir folgen dem Uferweg und erreichen eine Feldsteingrotte – nach dem Verfall wieder aufgebaut. Von hier führt ein kurzer axialer Weg zurück zur Querallee und wir passieren das sogenannte Lärchenrondell. Wer erreichen jetzt Relikte der nordischen Auenlandschaft, eine der landschaftlichen Elemente in der komplexen Parkstruktur, eine feuchte Senke mit vorwiegendem Erlenbestand. Diese Szenerie wird auch das „englische Stück“ genannt. Eingefügt in die ansteigende Böschung ist die Egeria-Grotte, sie bildet den Abschluss der Querallee. Die aus Feldstein geformte Grotte mit einer Statue der römischen Quellnymphe Egeria wurde von Prinz Heinrich 1790 in das Park-Ensemble eingefügt. 1843 war die Grotte zerstört. Sensationell ist daher der Fund des Kopfes der Nymphenfigur durch Arbeiter bei Rekonstruktionsarbeiten. Inzwischen ist die Grotte wieder errichtet, der Kopf als „Ruhende Egeria“ eingefügt.
Der Weg entlang der Hangkante am Westufer des Sees führt zu der von Aufforstungen wieder freigestellten Terrassenanlage mit dem Obelisken in Form der Trajanssäule. Von hier geht der Blick axial auf das Schloss am gegenüberliegenden Seeufer. Wir befinden uns jetzt am Rande der Boberow-Wälder, die von einem Alleen-Rondell aus erschlossen werden. Ein Abstecher am westlichen Seeufer führt zum Küchengärtnerhaus.
Der Rückweg zur Querallee über einen Uferweg bringt uns zum Weinberg und zur Gärtnerei mit dem Wohnhaus des Hofgärtners Ambrosius. Unser lebendiges Kunstwerk ist der Park, den Schlossbezirk haben wir ausgeklammert. Ein Gartenkunstwerk, auch wenn es bereits im 18. Jahrhundert begründet wurde und als eine der ersten deutschen „empfindsamen Parkanlagen“ in die bestehende Landschaft integriert wurde, hat eine Perspektive in die Zukunft! Ihre Pflanzenbestände entwickeln sich Jahr um Jahr weiter. Auch Rückschläge – nach dem Tod Heinrichs versanken die Anlagen in Bedeutungslosigkeit. 1945 nach dem Krieg verwilderte der Park. Aber seit 1967 und verstärkt 1975 wurden von der Gartendenkmalpflege zusammen mit der Gärtnerei in stetiger und kraftvoller Arbeit – auch bei zunächst geringen Ressourcen das Gartenkunstwerk durch Rodungen, Neupflanzungen, Rekonstruktionen und Restauration Schritt für Schritt die Raum- und Vegetationsstrukturen im Sinne der originalen Gestaltungen wiederhergestellt.
Unser Kunstwerk: Der Schlossgarten Rheinsberg. Durch Kurt Tucholsky und Theodor Fontane fand Rheinsberg zu literarischem Ruf.
Exkursion 1988
G. Nagel