telling a work of art /
Arbeiten die man sich erzählen kann
an e-mail project by Karin Sander
Betreff: AW: Telling a Work of Art
Datum: Tue, 15 Jan 2019 11:55:00
Von:
Arila Siegert
An:
Karin Sander
Inspirationsquelle – graben zu den eigenen Wurzeln
Ich studierte an der Palucca Schule Dresden und war 14 oder 15 Jahre alt.
Wir, eine Klasse von ca. 20 jungen Mädchen, hatten NKT (Neuer Künstlerischer Tanz) bei Palucca, am Flügel war Peter Jarchow.
Palucca hatte mit dem NKT den Expressionistischen Tanz der 1920er Jahre in die sozialistische Periode herübergerettet. In dieser Kunstform ist der Tänzer wie ein Dichter oder Maler sein eigener Autor. Der Tänzer ist Schöpfer und gleichsam sein eigenes Instrument – authentisch.
Dieser Unterricht war so spannend wie Kino und sollte nie aufhören. Wir improvisierten nach verschiedenen Themen. Es ging um Persönlichkeit, Unverwechselbarkeit, Eigenwilligkeit…
Am Ende einer Stunde legte uns Palucca verschiedene Fotos der Tänzerin Dore Hoyer auf den Flügel.
Die anderen Mädchen standen schon um das Instrument herum und schauten auf die Fotos. Ich kam etwas später dazu. Als ich eines der Fotos in die Hand nahm, durchfuhr es mich wie ein Blitz.
Einen Moment lang dachte ich, ich sehe mich selbst auf dem Foto…
Dies hat mich sosehr bewegt, dass ich nie aufgehört habe, diese Spur zu verfolgen. Ich habe, was damals in der DDR völlig unüblich war, begonnen, öffentlich zu improvisieren. Später habe ich neben meinen Engagements erst an der Komischen Oper Berlin, dann der Staatsoper Dresden Solo-Tänze und Choreographien gearbeitet.
Als ich mich dann von der Semperoper löste und an das Staatsschauspiel Dresden engagiert wurde, habe ich angefangen, den Tanzzyklus von Dore Hoyer „Afectos humanos“ zu rekonstruieren.
Es war wie ein graben am Platz, zu den Wurzeln, um zu wissen, woher ich komme und wer ich bin. Ich wollte nicht einfach abhauen aus der DDR.
Es war ein Sich-erden in einer flüchtigen Kunst und einer vergänglichen Welt.
Arila Siegert am 15.01.2019