telling a work of art /
Arbeiten die man sich erzählen kann
an e-mail project by Karin Sander
Betreff: INVITATION: ADDITIONAL INFORMATION
Datum: Sat, 11 May 2019 8:45:00
Von:
Tanja Dückers
An:
Karin Sander
Barnett Newman „Cathedra“ (1951, hängt im Stedelijk Museum, Amsterdam)
Zu den Gemälden, die mir ich besonders liebe, die mir heilig sind, zählen vor allem Werke von Barnett Newman. Seine Abstraktionen im Stil eines meditativen Expressionismus sind große, fast monochrome Flächen. Sie sollen, so Newman, wie Ausschnitte aus der Unendlichkeit wirken. Die Farben und die feinen vertikalen Farbstreifen, von Newman Reißverschluss („zip“) genannt, die „Boden“ und „Himmel“ miteinander verbinden – so auch bei „Cathedra“ der helle„zip“ auf der rechten Bildhälfte - , scheinen über den Bildrand hinauszudrängen. Diese all-over-Struktur hat Newman mit anderen Malerinnen wie Pollock oder auch Cy Twombly, bei allen Unterschieden, gemeinsam. Mark Rothko hingegen hat seine Farbfelder amorph begrenzt. Newman forderte seine Besucherinnen auf, so nah wie möglich an die meist riesigen Formate heranzutreten: damit man von der Farbfläche überwältig werden und seelisch in ihr versinken kann. Bei dem Blau von „Cathedra“ gelingt das besonders gut. Dieses Gemälde ist wie eine Pause – oder ein (Pauken-)Schlag, der doch nicht so sanft ist wie er im ersten Moment ob des Blaus scheint.
Newman trug die Farben nie mit einer Walze oder Rolle auf, sondern immer mit dem Pinsel. Deshalb erkennt man in der scheinbaren Farb-Homogenität unterschiedliche Pinselstrichführungen – Spuren der Bewegtheit des Menschen, in der angedeuteten Unendlichkeit aufgehoben. Bei „Cathedra“ kann man in dem großen Blau sehr gut unterschiedliche Bewegungen und Tonalitäten nachvollziehen. Etwas Bedrohliches findet sich ebenso in diesen vielen „unübersichtlichen“ Bewegungen im Schattenreich des Gemäldes.
Schon manches Mal war ich unglücklich darüber, dass ich relativ früh, mit Mitte zwanzig, Newmans Malerei für mich entdeckt habe. Gegen einen Newman wirkt so vieles Andere profan. Ich habe lange gebraucht, um zu begreifen, dass das Heilige in seiner humanistischen Variante (Newman war kein Ideologe, sondern zutiefst humanistisch gestimmt) keine Treue fordert: Du darfst auch andere Gemälde neben meinen lieben.
© Tanja Dückers, Berlin, im Mai 2019
Liebe Karin,
wie geht es Dir?
Hat Dich mein kleiner Text über Barnett Newmans Werk „Cathedra“ noch erreicht?
Ich hatte Deinen Aufruf so verstanden, dass Du nach kurzen Beschreibungen von Lieblingswerken suchst.
Viele Grüße aus Berlin, nächste Woche wieder auf dem Balkan u. in Tschechien unterwegs (ab Mitte Juni endlich mal wieder etwas am Stück in Berlin,
dann sehen wir uns hoffentlich mal wieder und können zusammen Kunst gucken / Kuchen essen gehen… ich würde mich freuen),
Tanja